Homöopathie – eine individuelle Medizin


Die Homöopathie betrachtet und  behandelt jeden Patienten als ein Individuum. Es gibt keine therapeutischen „Kochrezepte“, wie sie in anderen Medizinsystemen bekannt sind (dieses Medikament gegen Durchfall, dieses gegen Schmerzen, das gegen Schlaflosigkeit, dies gegen Erkältung usw.). Wenn jemand fragt: „Haben Sie für mich ein Mittel gegen Durchfall?“, ist die korrekte Antwort des Homöopathen: „Nein, aber ich habe ein Mittel für Sie und das Mittel wird Ihnen helfen, wieder gesund zu werden.“ Der Kranke muss sein Befinden, seine Symptome beschreiben, es muss sich herauskristallisieren, wodurch „sein“ Durchfall sich charakterisiert, was ihn von einem anderen Patienten mit Durchfall unterscheidet. Vielleicht hat er viel Durst und fühlt sich besser nach dem Stuhlen, ein anderer Patient hat hingegen keinen Durst und kollabiert nach dem Stuhlgang. Das sind Symptome, die nichts mit der Krankheitsdiagnose direkt zu tun haben, aber die den Patienten individualisieren. Für die Mittelverschreibung spielt die Diagnose, ob Amöben, Salmonellen oder Lamblien im Stuhl gefunden werden – keine direkte Rolle.


Je seltsamer und komischer ein Symptom ist, desto wertvoller ist es für den Homöopathen. Das Symptom „trockener Mund, viel Durst“ hat wenig Wert, verglichen mit „extrem trockenes Gefühl im Mund, kein Durst“. „Asthma, besser beim Aufsitzen und durch frische Luft“ ist ein banales Symptom, interessant wird es bei „Asthma, kann besser atmen, wenn er auf dem Bauch liegt“. Die eigentümlichen, individuellen Symptome des Patienten müssen aufgenommen werden.


Die Individualität des Menschen ist das grundlegende Prinzip und Werk der Natur. Nicht nur körperliche Merkmale sind individuell verschieden, sondern auch die geistige Anlage und die Reaktion jedes Menschen. Im Alltag suchen wir alle nach individuellen Beziehungen und einem Platz zum Leben. Wir kleiden und ernähren uns, wie es uns gefällt. Auch wenn wir traurig oder glücklich sind, reagieren wir individuell. Dies ist ein großes Werk von Mutter Natur. Wie unser Name dazu dient, uns zu identifizieren, so kennzeichnet uns auch unser Wesen und unser Verhalten. Wir alle finden unser Glück in verschiedenen Dingen und haben eigene Hobbies.


Die Suche nach dieser Einzigartigkeit bei jedem gesunden Individuum bringt uns der Natur näher. So sind wir in der Lage, die einzelnen Formen der Natur in ihrer Verschiedenartigkeit als gleichwertig anzuerkennen. Diese Studium bringt uns Homöpathen mannigfaltige Bilder vom Leben und von Lebensformen. Wenn wir die verschiedenen Arten von Menschen im Normalzustand erkennen und annehmen können, haben wir keine Mühe mit der Beobachtung ihrer Besonderheiten im Krankheitsfall. Deshalb ist derjenige ein wahrer Homöopath, welcher die Individualität jedes Menschen sowohl mit seinen körperlichen als auch mit seinen intuitiven Augen wahrnehmen kann. Die Aufgabe eines Homöopathen ist viel schwieriger, als nur das Erstellen einer Krankheitsdiagnose. Bei jedem Patienten muss er die Eigentümlichkeiten des Charakters, der Krankheitsursache und der Symptome finden.  In der homöopathischen Art der Fallaufnahme ist dies notwendig, denn es geht darum, jedem einzelnen Patienten mit dem Mittel, das seiner Situation am meisten entspricht, Erleichterung oder Heilung zu verschaffen. Die Befriedigung, einen Patienten mit einem bestimmten Mittel geheilt zu haben, bedeutet für einen homöopathischen Arzt nicht unbedingt auch Erfolg in einem ähnlichen Fall. Wenn doch die Anfälligkeit sowie die Reaktionen auf eine Krankheit sich von Fall zu Fall unterscheiden, so erscheint es sinnlos, alle Patienten, die an derselben Krankheit leiden, mit dem gleichen Mittel zu behandeln.


Individuelle Beratung während der Behandlung im allgemeinen und während der homöopathischen Verschlimmerung im besonderen spielt eine wichtige Rolle. Wenn ein Patient beginnt, sich selber zu entwickeln, kann es bisweilen dem Partner unerträglich sein, diese neue Phase zu akzeptieren. Eine sorgfältige Behandlung und eine individuelle Familienberatung sind notwendig. Einfach ein Mittel zu verschreiben, ist nur die Hälfte der übernommenen Verantwortung. Beispielsweise müssen Menschen, die sich durch Trost schlechter fühlen, sehr behutsam befragt und beraten werden. Man sollte ihnen nicht direkt widersprechen oder sie häufig kritisieren. Mit jedem Patient soll man gefühlsmäßig mitfließen entsprechend der Art, wie er auf unsere Fragen reagiert.


Quelle: Auszug aus dem Buch „Die Reise einer Krankheit – homöopathisches Konzept von Heilung und Unterdrückung“
von Mohinder Sing Jus, ISBN-13: 978-3-906407-03-06